„… stabiles Gesinnungswähler*innenpotential“
Am 14.03.2021 gab es die beiden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sowie die Kommunalwahl in Hessen. Der Blick auf den Ausgang richtet sich hier – neben einer Gesamtbetrachtung und Bewertung der Wahlergebnisse – vor allem auf die Ergebnisse der Parteien rechts von der Union; auf die menschen- und demokratiefeindlichen Rechtsaußenparteien mit der AfD, vielen sogenannten mehr rechts-konservativen „Bürgerparteien“ und vereinzelt bei der Kommunalwahl in Hessen auch die rechtsextreme NPD und die Republikaner.
Blick zurück
Die AfD erhielt bei den Landtagswahlen 2016 in Baden-Württemberg 15,1% (die höchste Quote in einem westlichen Bundesland) und in Rheinland-Pfalz 12,6% der abgegebenen Stimmen. Bei der Landtagswahl 2018 in Hessen erhielt die AfD 13,1% und bei der Kommunalwahl 2016 im Landesdurchschnitt 11,9% der abgegebenen Stimmen. Sie war mit insgesamt 297 Sitzen – mit 183 Abgeordneten in allen Kreistagen und mit 96 Mandaten in kreisfreien Städten, zahlreichen Städten und Gemeinden – parlamentarisch vertreten. Die AfD wurde nach der CDU und SPD drittstärkste Kraft und erzielte überdurchschnittliche kommunale Ergebnisse in den Landkreisen: Bergstraße 15,9% (11 Sitze), Offenbach 14,7% (13 Sitze), Main-Kinzig 14,6% (13 Sitze), Gießen 14,4% (12 Sitze) und Fulda 14,3% (12 Sitze). Bei den Städten waren es: Dietzenbach 14,7% (7 Sitze), Bad Karlshafen 14,0% (2 Sitze), Bensheim 13,3% (6 Sitze), Gießen 12,9% (6 Sitze) und Wiesbaden 12,2% (11 Sitze); in Frankfurt waren es 8,9% und 8 Mandate.
Damit wurde die AfD zur dominierenden Kraft im rechten Lager und war wiederholt in der Lage das Potential aus Protest- und Gesinnungswähler*innen zu binden und in den Bundestag, alle Landtage und in Hessen auf allen kommunalen Ebenen sowie in allen Orten, in denen sie kandidierte, in die Parlamente und Gemeindevertretungen einzuziehen. Erstmals musste sich die kommunale Politik mit größeren Fraktionen der populistischen und extremen Rechten auseinandersetzen. Die Erfahrungen zeigen, dass das Verhalten der AfD-Fraktionen zwischen vereinzelt „bieder, brav und angepasst“ und fundamental-oppositionell pendelte, und dass mit ihr durchweg eine aggressive und ruppige, völkisch-nationalistische und rassistische Rhetorik, eine menschen- und demokratiefeindliche Orientierung in die Parlamente eingezogen sind. Die Anträge, Anfragen und Debattenbeiträge zeigten weiter unterschiedliche Facetten und Entwicklungen, die von der (versuchten) Instrumentalisierung des Parlamentes mit der Propagierung ihrer Ideologiefragmente, über Unauffälligkeit, Inkompetenz und Faulheit, dann dem Gerieren als „Kümmerer- und Fleißfraktionen“ bis hin zu Austritten, Abspaltungen und dem Zerfall von Fraktionen reichten.
Nach diesen Erfahrungen war die Frage, wie die AfD jetzt bei den drei Wahlen zu Beginn des Jahres 2021 abschneiden wird und wie die Ergebnisse zu deuten sind.
Wahlergebnisse – Landtagswahlen
Die Endergebnisse zeigen für die beiden Landtagswahlen, dass die AfD mit Bezug auf die Wahlen 2016 in Baden-Württemberg jetzt 9,7 % der abgegebenen Stimmen erhalten und damit 5,4% verloren hat; in Rheinland-Pfalz waren es jetzt 8,3% und damit 4,3% weniger wie 2016.
Damit zeigt sich generell, dass es im Wahlverhalten zu einer im Ergebnis breiten Zustimmung der Regierungsparteien in den beiden Bundesländern – in Baden-Württemberg die Grünen und in Rheinland-Pfalz die SPD – gekommen ist, und dass die bisherigen oder auch neue Koalitionen möglich sind. Anzumerken ist, dass die CDU in beiden Bundesländern deutliche Verluste erlitten hat und zu einer Mitte 20%-Partei geworden ist. Weiter konnte Die Linke mit ihren Politikangeboten die 5%-Hürde nicht überspringen; sie fällt damit als Oppositionspartei in wichtigen – und vor allem sozialen – Fragen als parlamentarischer Akteur aus.
Wahlergebnisse – Kommunalwahl
Die Kommunalwahl in Hessen zeigt – so erste Trendberichte, die auf der Auswertung von angekreuzten Listen beruhen – ein Tag nach der Wahl, an dem die Endergebnisse noch nicht vorliegen, folgendes Bild. Wahlgewinner sind im Landesdurchschnitt die Grünen, die CDU bleibt stärkste Partei und die SPD fällt auf den dritten Platz; FDP und Linke können in etwa ihr Ergebnis halten.
Die Trendergebnisse zeigen, dass der Stimmen- und Prozentanteil der AfD durchweg deutlich zurückgegangen ist. Das waren in allen Landkreisen, Städten und Gemeinden etwa ein Drittel und vereinzelt bis zu 50%. Ihr Stimmenanteil liegt durchweg im einstelligen Bereich zwischen 5 und 10 Prozent. In wenigen Landkreisen und Kommune liegen sie noch knapp über 10%, so in den Landkreisen Main-Kinzig (10,4), Hersfeld-Rotenburg (10,3%) und Fulda (11,5%) sowie Vogelsberg (10,0%) – hier erzielte die AfD in der Gemeinde Hirzenhain 16,8%. In der Stadt Fulda waren es ebenfalls 11,5%; in Geisenheim (Rheingau-Taunus-Kreis) waren es 13,0%, in Linsengericht (Main-Kinzig-Kreis) 11,2% und in Dietzenbach (Landkreis Offenbach) 10,3%. In den Großstädten kam die AfD in Frankfurt auf 5,8 %, in Darmstadt auf 5,8%, in Wiesbaden auf 8,1% und in Offenbach auf 9,7%.
Wie auch bei den Landtagswahlen hat die AfD bei den Kommunalwahlen weitgehend ihr Gesinnungswähler*innenpotential binden können und hat in einigen Kommunen vom Rückgang der NPD und der Republikaner profitiert. So hatten die anderen rechtsextremen Parteien in Kommunen des Main-Kinzig-, Lahn-Dill- und Wetterau-Kreises deutliche Verluste; die NPD kam in Büdingen auf 3,3%, im Wetterauskreis und in Wetzlar waren es 1,1%, dann gab es in Altenstadt ein Ergebnis von 11,1%; und die Republikaner kamen in Hanau auf 6,1%.
Deutung
Bei der Frage, welche Deutungen die Ergebnisse zulassen, liegen mit einem ersten Blick folgende vier Thesen nahe:
- Die AfD konnte ihre Wahlergebnisse von 2016 bei den Landtagswahlen und Kommunalwahlen in Hessen nicht wiederholen oder diese gar übertreffen. Sie hat durchweg bis zu einem Drittel (und mehr) ihrer Wähler*innen und damit Prozentanteile verloren, und sie konnte mit ihren Botschaften zu den gesellschaftlichen Krisenentwicklungen und Diskursen (soziale Spaltung, Klima, Pandemie u. a.) sowie den jeweiligen kommunalen Herausforderungen nicht profitieren. Die Motive für die Verluste sind vielschichtig und reichen von (lediglich) vorübergehender Protestbindung und jetzt Abwendung von Wähler*innen aus dem konservativ-bürgerlichen Milieu wieder hin zu anderen Parteien (und hier vor allem zur CDU), über Desillusionierung und Enttäuschung bis hin zur gänzlichen Abwendung von Demokratie und Wahlen
- Gleichzeitig gilt, dass eine – offensichtlich und deutlich identifizierbare – radikalisierte und von völkischen Kräften dominierte AfD wiederholt fast bzw. knapp über 10 % der abgegebenen Stimmen erhalten hat. Die Ergebnisse verweisen auf ein mittlerweile stabiles Gesinnungswähler*innenpotential. Aus diesem politisch-kulturellen Milieu wird die AfD auch dann oder gerade dann gewählt, weil sie im Kern und bekennend völkisch, nationalistisch, demokratie- und menschenfeindlich ist und entsprechend agiert. Die Ergebnisse belegen mit Blick auf Einstellungen und Mentalitäten in Teilen der Bevölkerung die Einschätzung, dass es rechts von den Unionsparteien ein Potential zwischen 7 und 12 Prozent gibt, dass wiederholt und dauerhaft bereit ist, eine Partei wie die AfD zu wählen.
- Die AfD ist – so der erneute Beleg – die dominierende Kraft im Rechtsaußenlager und die anderen rechtsextremen Parteien – NPD und Republikaner – werden gänzlich bedeutungslos. Hier wandern Wähler*innen zur AfD.
- Ob sich mit den Wahlergebnissen der Höhepunkt im Wahlverhalten ankündigt und die AfD ihren Zenit überschritten hat bleibt abzuwarten. Populistische und extrem rechte Parteien sind vor allem dann erfolgreich, wenn sie ein Thema emotional mobilisieren und skandalisieren können, wenn sie aggressiv Schuldzuweisungen und Feindbilder inszenieren können – das ist ihnen bei diesen Wahlen nicht gelungen.