Die Wahlprognosen haben nahe an den Wahlergebnissen gelegen. Allerdings kam’s schlimmer! Das sind keine guten Nachrichten. Dieser Text beruht auf vorläufigen Ergebnissen; das amtliche Endergebnis wird sich nur in Nuancen unterscheiden.
Eine zukünftige Landesregierung wird aus einer Koalition von mindestens zwei Parteien bestehen. Boris Rhein bleibt Ministerpräsident. Inwieweit diese Regierung den „Wählerwillen“ zum Ausdruck bringt, ist fraglich. Die Wahlbeteiligung ist gegenüber der Landtagswahl 2018 um etwa 3 Prozent zurückgegangen, ein Ausdruck für die Ratlosigkeit der Wähler*innen?
Die Parteien, denen Sozialpolitik als wichtiges Anliegen zugeschrieben wird, haben an Stimmen verloren:
- Die LINKE ist nicht mehr im Landtag vertreten (3,2 %). Damit fehlt eine kritische Stimme, die immer wieder den Finger in die Wunde gelegt hat und so manche Themen an die Öffentlichkeit getragen hat: die amtliche Vertuschung um den Mord an Walter Lübcke, die mangelnde Aufklärung um die rassistischen Morde von Hanau oder der Skandal der antisemitischen Chatgruppen bei der Frankfurter Polizei, um nur einige verdienstvolle Initiativen der Partei DIE LINKE zu benennen.
- Die SPD hat mit 15,4 % ihr historisch schlechtestes Landtagswahlergebnis eingefahren. Das war kaum anders zu erwarten, hat sie doch den Wahlkampf mit Themen bestritten, die entweder fern der Wähler waren (Frauenquote) oder von der AfD besetzt sind (Demontage des Asylrechts). Damit ist die SPD noch nicht als Kandidatin für die Mehrheitsbeschaffung einer künftigen Landesregierung raus, erste Hinweise hat Boris Rhein schon gegeben.
- Die GRÜNEN haben ihren Zenit überschritten (14,6 %). Ihre Erwartungen wurden enttäuscht. Diesen Verlust als das „zweitbeste Wahlergebnis“ schönzureden, ist mutig. Dieses Wahlergebnis mag die Quittung für ihre bisherige Regierungsbeteiligung zum Ausdruck bringen.
Die bürgerlichen Parteien können mit dem Wahlergebnis zufrieden sein:
- Die CDU bleibt stärkste Fraktion im Hessischen Landtag, mit 35 % übertrifft das Ergebnis die eigenen Erwartungen.
- Die FDP zittert bei 5,00 % um den Wiedereinzug in den Landtag. Trotzdem spekuliert sie auf eine Regierungsbeteiligung. Wenn sie die Politik kopiert, die die Bundespartei in der Ampel treibt, können wir uns auf weiteren Abbau von Sozialstandards einstellen. Verfehlt sie die 5-%-Hürde, wird es kaum ein Schaden für die parlamentarische Demokratie darstellen.
Der Triumph der AfD ist unüberhörbar und unerträglich. Mit etwa 18 % wird sie zweitstärkste Fraktion im Hessischen Landtag. Das Versprechen von Boris Rhein, es werde keinerlei Zusammenarbeit mit der AfD geben, ist wohlfeil: SPD, GRÜNE und FDP stehen bereit, damit Rhein nicht in eine solche Verlegenheit kommt.
Der erschreckende, jedoch voraussehbare Gewinn an Wählerstimmen der, mindestens zum Teil faschistischen AfD konnte von antifaschistisch-demokratischen Kräften nicht verhindert werden. Auch wenn wir, die VVN-BdA, Vieles versucht haben, um Wähler*innen davon abzuhalten, AfD zu wählen, müssen wir uns eingestehen, unsere Kräfte waren zu schwach, um in diesen Wahlkampf vernehmlich eingreifen zu können. Diese Einschätzung dürfte wohl auch auf viele antifaschistische Initiativen und Bündnisse landauf und landab in Hessen zutreffen. – 2 –
Diese nüchterne Betrachtung darf nicht zur Resignation führen. Die antifaschistisch-demokratischen Kräfte werden gebraucht, erst recht nach diesem Wahlergebnis! Wir haben in diesem Wahlkampf bewiesen, wir sind sehr wohl in der Lage, antirassistische, humanistische Werte zu formulieren und zu verbreiten. Zuweilen mit einigem Erfolg. So sind fast durchgängig Protestkundgebungen gegen öffentliche Auftritte der AfD zahlenmäßig stärker gewesen als deren Anhängerschaft, nicht zuletzt am 7. Oktober in Wiesbaden. Inwieweit es gelungen ist, damit mögliche AfD-Wähler abgehalten zu haben, Nazis zu wählen, sei dahingestellt.
Es gilt dafür zu sorgen, dass sozialpolitische und friedenspolitische Themen stärker in der Öffentlichkeit wahrnehmbar werden. Der Hessische Landtag scheint dafür auszufallen. Außerhalb des Parlaments diesen Themen Gehör zu verschaffen, wird die Herausforderung sein, mit der wir es ab heute mehr denn je zu tun haben werden. Demokratisch-antifaschistische Alternativen müssen formuliert und veröffentlicht werden. Die VVN-BdA ist bereit, ihren Beitrag zu leisten.
Norbert Birkwald, Sprecher der VVN-BdA Hessen, 8.10.23