Immer wieder wird der hessische Landesverband (LV) der AfD medial als vergleichsweise gemäßigt beschrieben. Hierfür dürften zwei Gründe maßgeblich sein: Die tatsächlich relativ moderaten medialen Auftritte und Landtagsreden des Landessprecher-Duos Klaus Herrmann und Robert Lambrou und die kaum wahrnehmbaren Aktivitäten des hessischen Teils des völkischen „Flügels“, der sich im März 2020 nahezu geräuschlos auflöste.
Doch den Fokus nur auf den „Flügel“ zu richten, greift zu kurz. Denn über den „Flügel“ hinaus nahmen immer wieder Personen führende Positionen innerhalb des LV ein, die zuvor in rassistischen Parteien wie „Die Freiheit“ oder „Die Republikaner“ aktiv waren, oder denen ideologische und organisatorische Bezüge zu PEGIDA-Ablegern, der „Reichsbürger“-Bewegung, völkischen Burschenschaften und zur „Identitären Bewegung“ (IB) nachgewiesen werden konnten. Bei der Frage, welchen Einfluss der „Flügel“ innerhalb des LV hat, sollte zudem der Blick auf die Verankerung der „Flügel“-Akteur:innen in der Partei gerichtet werden. Sie nehmen nämlich auch führende Positionen im LV ein. Einige Beispiele: Die ehemalige PEGIDA-Aktivistin und heutige Europaabgeordnete der AfD, Christine Anderson, ist die Obfrau des hessischen “Flügels”. Jüngst wurde sie zur stellvertretenden Vorsitzenden des Kreisverbands Fulda gewählt. Andreas Lichert, dessen Nähe zur IB Identitären Bewegung und dessen über zehn Jahre währender Vorsitz im Verein des „Instituts für Staatspolitik“ hinlänglich bekannt sind, ist Mitglied im Landesvorstand und der Landtagsfraktion. Heiko Scholz, bildungspolitischer Sprecher der Landtagsfraktion, wurde im Oktober 2019 zum stellvertretenden Vorsitzenden des LV gewählt. Mit Mary Khan und Patrick Pana traten im Sommer 2019 zwei Landesvorstandsmitglieder der „JA“ prominent im Rahmen des letzten „Flügel“-Treffens in Erscheinung. Innerhalb der Landtagsfraktion finden sich mehrere Abgeordnete, die eine mehr als deutliche „Flügel“-Nähe aufweisen oder 2015 das Gründungsmanifest des „Flügels“ unterzeichneten. Zudem sind einige Kreisverbände als „Flügel“-nah bekannt.
Dass in Hessen zuletzt Machtkämpfe zwischen den Strömungen ausblieben, dürfte insbesondere am hiesigen Sprecher-Duo liegen, die sich immer wieder schützend vor „Flügel“-Akteur:innen stellten. Lambrou betonte noch im Juli 2019, dass der „Flügel“ zur Partei gehöre. Wer dem scheinbar moderaten Lambrou, Herrmann und anderen führenden Personen bei parteiinternen Reden oder Social-Media-Auftritten jedoch genauer zuhört, stellt fest, wie nahe diese den „Flügel“-Aktivist:innen rhetorisch und in Bezug auf die ideologischen Kernpositionen der extremen Rechten, einem völkisch-rassistischen und autoritären Nationalismus, stehen. Sie unterscheiden sich eigentlich nur in ihrer Wortwahl.
Von Sascha Schmidt (Politikwissenschaftler und Gewerkschaftssekretär beim DGB Hessen-Thüringen)
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