In einigen Städten und Kommunen in Hessen hat mehr als die Hälfte der Bevölkerung Anspruch auf eine geförderte Wohnung, in Frankfurt sind es sogar rund zwei Drittel. Durch Spekulation und Luxussanierungen nehmen Verdrängung und soziale Spaltung immer weiter zu. Im Jahr 2019 gab es laut dem Hessischen Wirtschaftsministerium nur noch 79.728 Sozialwohnungen. Ein Jahr zuvor waren es noch 80.309 Sozialwohnungen. Die Zahl der Sozialwohnungen hat sich in Hessen seit Anfang der 1990 Jahre um mehr als 60 Prozent verringert. Die Zahl preisgebundener Mietwohnungen in Hessen sank von 205.907 in 1991 auf 79.728 zu Ende des Jahres 2019. Seit Jahren fallen deutlich mehr Sozialwohnungen aus der Bindung, als neue geschaffen werden. Auch in ländlichen Gegenden wird bezahlbarer Wohnraum immer knapper. Hinzu kommt, dass die digitale, soziale und medizinische Infrastruktur oft nicht ausreichend ausgebaut ist. Zur Kommunalwahl 2021 fordert das Bündnis #Mietenwahnsinn-Hessen die Kommunalpolitik auf, flächendeckend im Sinne des Gemeinwohls zu handeln. Die Kommunen haben im Zusammenspiel mit Land und Bund die Aufgabe, das Menschenrecht auf Wohnen umzusetzen. Wohnungspolitik ist immer Sozialpolitik und die Versorgung mit menschenwürdigem Wohnraum darf nicht dem Markt überlassen werden.
1. Sofortmaßnahmen in der Corona-Pandemie Die Corona-Pandemie verschärft die Situation auf dem Wohnungsmarkt dramatisch. Viele Mieter*innen können durch den Verlust ihres Arbeitsplatzes oder durch Kurzarbeit die ohnehin hohen Mieten oder ihre Nebenkosten nicht mehr bezahlen. Deshalb müssen folgende Sofortmaßnahmen während der Pandemiezeit ergriffen werden, bei der besonders die Kommunalpolitik über ihren Einfluss auf kommunale Wohnungsbauunternehmen und Energieversorger ihrer Verantwortung gerecht werden muss: Alle Zwangsräumungen müssen ausgesetzt werden und es darf keine Energie- und Wassersperrungen geben. Weiter fordern wir einen Mietenstopp, der Mieterhöhungen über einem Prozent pro Jahr verhindert. Der Kündigungsschutz für Mieter*innen muss verstärkt werden, zumindest müssen die Corona- Sonderregelungen, die Ende Juni 2020 ausgelaufen sind, wieder in Kraft treten. Alle Gemeinschaftsunterkünfte ohne angemessene Standards für Geflüchtete müssen aufgelöst werden. Derzeit ohnehin leerstehende Jugendherbergen, Hotels und Landschulheime sollten als Wohnraum für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder, Geflüchtete und Wohnungslose dienen. Arbeitsagenturen, Jobcenter, Wohnungsämter und andere Behörden müssen auch unter Infektionsschutzbedingungen niedrigschwellig ansprechbar bleiben. Reine Online-Kontaktmöglichkeiten reichen nicht aus.
2. Bestand an Mietwohnungen sichern – Leerstand verhindern Wohnraumzweckentfremdung und spekulativer Wohnraumleerstand müssen sofort unterbunden werden. Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen bzw. in Büro- oder Werkstatträume muss vor Ort erschwert bzw. verhindert werden. Wir fordern die Ausweisung und Erweiterung von Milieuschutzgebieten und die Einrichtung und konsequente Umsetzung von Erhaltungssatzungen zur Verhinderung von Luxussanierung und zur Nutzung des Vorkaufsrechts durch die Kommunen.
3. Mietanstieg stoppen Der Mietanstieg muss wirksam und flächendeckend begrenzt werden. Wir fordern flächendeckende Mietspiegel mit nachvollziehbaren Regelungen zur Ermittlung, Ausweisung und Anwendung der Vergleichsmiete, einen Mietendeckel in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt, eine konsequente Ahndung von unzulässigen Mietpreisüberhöhungen und Mietwucher.
4. Sozialen Wohnungsbau deutlich ausweiten Der dramatische Schwund an Sozialwohnungen muss mit zusätzlichen öffentlichen Mitteln gestoppt werden. Notwendig ist der Bau von hessenweit mindestens 10.000 zusätzlichen Sozialwohnungen pro Jahr und die Ausweitung bzw. der Rückkauf von Belegrechten. Die Sozialbindung muss zeitlich unbefristet sein. Dafür müssen die Kommunen ausreichend finanziell ausgestattet werden. Für Auszubildende und Studierende sind bezahlbare Wohnungen zu schaffen, ebenso für Wohnungslose. Neue Wohnformen sowie barrierefreies, inklusives und generationenübergreifendes Wohnen müssen stärker gefördert werden. Zur anteiligen Finanzierung sollte unter anderem das Sondervermögen „Universitätsbibliothek Frankfurt am Main und Wohnraum- und Wohnumfeldförderung“ durch die Landesregierung freigegeben werden.
5. Übernahme tatsächlicher Mietkosten für Haushalte im Sozialleistungsbezug Haushalten, die Grundsicherung erhalten, wird oftmals nicht die tatsächlichen Kosten für ihre Wohnung erstattet. Wir fordern eine Übernahme der tatsächlichen Miete, bei der die Mietpreisentwicklung berücksichtigt wird, wie das einige Kommunen in Hessen bereits handhaben.
6. Solidarität statt Ausgrenzung Der Zugang zu Wohnraum wird zusätzlich durch Rassismus und Diskriminierung erschwert. Diese Hindernisse auf dem Wohnungsmarkt müssen abgebaut und ein gleichberechtigter Zugang zu bezahlbarem Wohnraum für alle muss ermöglicht werden – unabhängig von Aufenthaltsstatus, Einkommen und Lebenslage. Wir fordern die Kommunalpolitik auf, einen ausreichenden Bestand an Wohnungen für Menschen in besonderen Lebenslagen und für Menschen mit
Beeinträchtigungen bereitzustellen.
7. Bodenbevorratung – Sozialgerechte Bodenvergabe Öffentliche Liegenschaften und Wohnungsbestände dürfen nicht privatisiert werden. Der Neuerwerb von Liegenschaften durch die öffentliche Hand soll gestärkt werden. Vorkaufsrechte sind zu nutzen und öffentliche Bodenbevorratung ist zu betreiben. Öffentliche Liegenschaften dürfen nur an diejenigen vergeben werden, die sich verpflichten, sozialen und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Die Vergabe sollte auf Erbpachtbasis und an die Interessenten mit den überzeugendsten Konzepten erfolgen. Durch städtebauliche Verträge sollten Kommunen den Bau von Sozialwohnungen absichern und Projektträger an den Folgekosten beteiligen. Bei privaten Liegenschaften sollen mindestens zu einem Drittel Sozialwohnungen ohne zeitliche Befristung entstehen. Entsprechende Auflagen für geförderten, bezahlbaren Wohnraum sind in Bebauungsplänen festzuschreiben und konsequent durchzusetzen. Entwickler*innen und Bauherr*innen von Neubauprojekten sind an den Kosten für die Erschließung und an den Folgekosten der öffentlichen Hand zu beteiligen.
8. Neue Wohnungsgemeinnützigkeit schaffen Als Alternative zur renditeorientierten Wohnungswirtschaft muss eine Wohnungsgemeinnützigkeit eingeführt werden. Die soziale Zweckbindung von Wohnungen muss dauerhaft gesichert sein und durch steuerliche Förderung, Privilegien bei der Grundstücksvergabe, öffentliche Zuschüsse und Kredite ermöglicht werden. Schon heute sollten sich kommunale Wohnungsbaugesellschaften an den Regeln der Gemeinnützigkeit orientieren und demokratisiert werden. Tarifbindung und Mitbestimmung müssen gewährleistet werden. Auch müssen neue kommunale, gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften gegründet werden, um ausschließlich mehr Wohnungen im unteren und mittleren Preissegment zu schaffen.
9. Lebenswerte Nachbarschaften in ganz Hessen für alle gestalten Ausreichende Grün- und Freiflächen sowie kulturelle Freiräume sind wichtig für lebenswerte Wohnverhältnisse. Wir fordern, diese zu erhalten und neu zu schaffen. Im ländlichen Raum musses ausreichende Bildungsangebote, digitale, soziale und medizinische Infrastruktur sowiebezahlbare und bedarfsgerechte Mobilitätsangebote geben.
10. Sammelunterkünfte abschaffenBund, Land und Kommunen müssen gewährleisten, dass in Sammelunterkünften für Arbeitskräftegeltende Standards, etwa zu Hygiene und Sicherheitsabstand, eingehalten werden. DieUnterkunftskosten müssen gedeckelt werden. Der Arbeitsschutz muss gestärkt und Kontrollen müssen verschärft werden. Die Kommunen sind aufgefordert, das Hessische Wohnungsaufsichtsgesetz stärker zu nutzen, um gegen Wohnungsmissstände vorzugehen. Die Wohnungsaufsicht muss vor Ort gestärkt werden. Sammelunterkünfte für Geflüchtete oder kommunale Notunterkünfte für Wohnungslose müssen schnellstmöglich aufgelöst werden und Menschen in kleinen Wohneinheiten untergebracht werden. Langfristig sind die Kommunen aufgerufen, auf dezentrale Unterbringung statt Sammelunterkünfte zu setzen.
Das Bündnis #Mietenwahnsinn-Hessen ist ein Zusammenschluss von mehr als 40 Mieter*innen-Vereinen und -Initiativen, Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften, Studierendenvertretungen und anderen Gruppen. Es hat sich 2018 im Vorfeld der Landtagswahl gegründet und fordert einen Kurswechsel in der Wohnungspolitik, bei der die Interessen der Mieter*innen im Vordergrund stehen.
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